Washington

Meilen 2150 – 2655

„Wait until we get to Washington“ war ein Satz den unser Freund Nolan täglich in Oregon zu unterschiedlichsten Anlässen verlauten ließ. Ob es ein schöner Bergsee war, eine imposante Aussicht oder nur ein besonders großer Baum. Washington wurde uns als das gepriesene Land versprochen und was sollen wir sagen? Washington war überragend.

Aber fangen wir vorne an.

Die ersten 3 Tage hätten auch ruhig noch zu Oregon gehören können. Viel Wald und ab und zu ein netter See. Auf diesem Abschnitt hörten wir dann oft: „Wait until we get to Northern Washington“… Aber was sich jetzt schon als typisch Washington bemerkbar macht: Das viele auf und ab. Viele 1000 Höhenmeter rauf und wieder runter. Das waren wir aus Oregon gar nicht mehr gewöhnt. Unseren mit Abstand schnellsten resupply hatten wir Dank Julie und Sage (Nolans Mutter und Schwester). Unsere vorgepackten Pakete wurden uns zusammen mit kalten Getränken und einem Frühstück direkt an den Trail gebracht! Der Trail kreuzt eine Teerstraße und die beiden sind extra eine Stunde gefahren, um uns zu versorgen. Einfach unglaublich!

Nach diesem rekordverdächtigen Boxenstopp ging es direkt weiter. Auf dem nächsten Abschnitt ging es in die Goat Rocks Wilderness, endlich Mal wieder über der Baumgrenze. Nichts gegen Bäume, aber nach mehreren Wochen überwiegend im Wald fühlen sich die weiten Blicke zu den großen Vulkanen einfach besser an. Der berühmteste Teil ist die „Knives Edge“ (Messersschneide). Man läuft ein paar Meilen über einen zu beiden Seiten steil abfallenden Grat. Wetter war auch top, also 10 von 10 Punkten. Ab hier hatte unsere Dreiergruppe Zuwachs von Young Gun aka Julian aus Mainz und wir sind Größtenteils zu viert gewandert. Auf diesem Abschnitt begleiten uns stets auch zwei imposante Bergriesen: Mount Adams und Mount Rainier. Mt. Rainier oder Tahoma, wie die First Nations diesen Berg nennen, ist der höchste Berg in Washington. Und er wird uns mehrere Tage begleiten. Ein Highlight war auch die Gipfelerstürmung von Old Snowy. Ein 360° Grad Panorama mit Adams im Süden und Tahoma im Norden.

Nach etwa 4 Tagen gab es den nächsten Boxenstopp an einer Tankstelle in einem Skigebiet (White Pass). Auch hier hatten wir uns Verpflegung hingeschickt. Nach etlichen Sprite, Donuts, Pizza, Wäsche waschen und Dusche ging es am selben Tag weiter. Von Kommentaren in unserer Wander App wussten wir, dass einige Hiker sich irgendwo im kommenden Abschnitt mit Norovirus infiziert hatten. Die kleinen Biester werden nicht durch unsere Wasserfilter abgefangen (da Virus und nicht Bakterien). Dementsprechend waren wir sehr vorsichtig und haben nur aus fließenden Gewässern (plus kein Seeauslass) Wasser genommen. Auch die Schwimmpausen in Bergseen mussten kurz pausieren. Vermutlich ist laut den Rangern hier die große Population an Dammwild dafür verantwortlich. Leider haben wir die 100+ Tiere große Herde nie gesehen. 

Nach weiteren 4 Tagen haben wir Snoqualmie Pass erreicht. Wieder ein Skigebiet im Sommer, also nicht besonders schön, aber dafür billige Unterkünfte und Stadtessen! Zur Belohnung für die erste Hälfte von Washington und 400km in 11 Tagen hat David dann auch wieder einen Tag Pause bekommen. 

Im Regen mit entsprechend nur sehr kurz weißen neuen Schuhen (Davids viertes Paar) ging es wieder bergauf in den ersten Abschnitt von Nord Washington! Und leider sehen wir im Wolkennebel und Regen die schönen Berge erstmal nicht. Aber so lernen wir auch das regnerische Klischee-Washington kennen. 

Neben Bären gab es in Washington wahnsinnig viele Beeren. Da war es schonmal schwierig unsere 22.5 Meilen mit den ganzen Pflückpausen zu schaffen. Aber die ganzen Beeren waren sooo lecker und man kann nicht anders als am Wegesrand stehen zu bleiben und sich eine nach der anderen in den Mund zu stopfen. Und hier zeigt sich langsam das beeindruckende Washington. Kristallklare Bergseen, beeindruckende Berge mit tiefen Tälern. Miri und David waren sich einig, es erinnert uns an die Alpen. Da sind schonmal 2000m hoch und runter notwendig um die 22.5 Meilen zu schaffen (wir haben unser Essen mit 22.5 Meilen am Tag geplant). Aber für diese anstrengenden Etappen haben wir gefühlt 2000 Kilometer und 3 Monate trainiert. 

Stephens Pass war das nächste Etappenziel. Nolans Vater kam extra vorbei, um uns ins 30km entfernte Leavenworth zu fahren! Eine wirklich komische auf deutsch gemachte Touristenstadt. Leider mussten wir hier Abschied nehmen von Young Gun, weil er aufgrund von Shinsplints (Entzündung der Schienenbeinmuskulatur) nicht mehr weiter laufen konnte. Für ihn war die Wanderung entsprechend 80 Meilen vor der Grenze leider zu Ende, sehr bitter, aber so ist es nun manchmal. 

Und wir feiern Miris 32. Geburtstag auf dem Trail! Er hätte schöner nicht sein können. David und Nolan sind besonders nett und es gab ein Frühstücksriegel mit Kerzen zum Start in den Tag. Frühstückspause am See und später springen wir alle in den eiskalten Pear Lake, ein himmlischer Bergsee, aber eiskalt. 

Der nächste Abschitt hatte es dann wirklich in sich. Es fing an mit unserem zweiten Bären. Ein paar hundert Meter entfernt „graste“ ein ausgewachsener Schwarzbär Blaubeeren. Nach einiger Zeit hat der dann wahrscheinlich Miri gerochen und ist wieder voller Panik weg gerannt. Zusätzlich haben wir gelernt, dass Waldbrände durchaus beeindruckende Mengen an Rauch erzeugen können. Gerade bei den weiten Ausblicken sehen wir große Rauchsäulen und auch die Täler sind verdächtig diesig und es riecht nach Rauch. Das sollte später noch zum Problem werden, aber das wussten wir da noch nicht. 

Washington und Oregon wurden zum größten Teil mindestens einmal im Laufe der Jahrhunderte komplett abgeholzt. Eine kleine Ansammlung von Bäumen wurde aber irgendwie vergessen und der Weg führt durch diesen sehr traurig kleinen Teil mit uralten Bäumen. Aber hier bekommt man ein Gefühl, wie es vor 500 Jahren überall ausgesehen haben muss. Einfach nur riesige Bäume, die an die 1000 Jahre alt sind. Wirklich sehr beeindruckend und Respekt einfößend. 

Kurz vor Stehekin (letzter Versorgungstopp vor der kanadischen Grenze) kommt uns ein hiker, den wir vorher schon mal getroffen haben und der auch nach Norden läuft, mit einer Hiobsbotschaft entgegen: Der Abschnitt 20 Meilen südlich von Stehekin, in dem wir gerade sind, ist ab sofort wegen Waldbrand gesperrt. Die Info ist aber noch inoffiziell und noch ist kein Ranger ausgerückt um den Trail zu sperren. It’s brand new information. Wir plumpsen alle drei auf den Waldboden. Die Info müssen wir erstmal sitzend verdauen. Was machen wir jetzt?  Wir entscheiden uns erstmal zu zelten, weil es schon 6 Uhr und spät ist. Am nächsten Morgen entscheiden wir uns für die Wanderung nach vorne nach Stehekin und nicht umzudrehen und zurück aus dem geschlossenen Teil zu laufen. Der gefährliche Wind, der zu der Sperrung geführt hat, soll erst gegen Nachmittag aufkommen. Einfach war der Weg auf ein paar Meilen nicht. Der Trail, den wir genommen haben, ist in einem sehr schlechten Zustand. Wir müssen uns teilweise durch garstiges Buschwerk kämpfen und kommen nur langsam voran. Miese Äste peitschen uns ins Gesicht und Beine und Dornenpflanzen schneiden uns Mikrorisse in die Beine und wir müssen über viele umgestürzte Bäume klettern. Wir fragen uns, wo sind wir hier?? und im Nachbartal brennts und eigentlich ist der Trail gesperrt. Zu allem Überfluss knickt dann David auch noch um und hat einen geschwollenen Knöchel. Er humpelt und wir müssen den Fuß im nächsten Bach kühlen. Die Situation zerrt an unseren Nerven. Wir schleppen uns also am Feuer und Rauch vorbei nach Stehekin (wir sehen kein Feuer, nur Rauch) und sind die letzten Hiker, die den PCT nach Stehekin laufen. Alle nach uns müssen einen Umweg in Kauf nehmen. In Stehekin dann die nächsten Neuigkeiten. Ein weiteres Feuer im Norden hat zu einer weiteren Sperrung des PCT geführt. Wir nehmen uns für die Entscheidungen und Planänderungen einen unvorhergesehenen Tag Pause. Gleichzeitig kommt das Davids Knöchel sehr zu Gute. Wir entscheiden uns mit der Fähre (Stehekin ist nicht angebunden an eine Straße) nach Chelan zu fahren und von dort irgendwie zum Harts Pass zu kommen (ca 3 h Fahrt mit dem Auto). Ab da ist der Trail wieder bzw. noch offen bis zur Grenze. Nolans Schwester Sage ist letztes Jahr den PCT gewandert und konnte nicht zur Grenze laufen wegen Feuersperrungen. Sie hat die Idee uns in Chelan abzuholen, uns zum Harts Pass zu fahren und dann mit uns zusammen die letzten 50km zur kanadischen Grenze zu laufen. Was für ein Glück im Unglück! Und wer hätte gedacht, dass die letzten Kilometer mit so viel Drama verbunden sein können. Die Feuersperrungen und Davids Umknicken. Das war schon arg. Und das Bangen, dass der Trail bis zur Grenze gesperrt werden könnte, schwang auch ständig mit. Die Situation kann sich schnell ändern. 

Wir starten also auf circa 2000m 2 Tage später am Harts Pass (letzte Schotterpiste vor der Grenze) wieder auf dem PCT Richtung Norden. Wir tragen Corona Masken wegen der schlechten Luft voller Rauch. Auch bleiben die imposante letzten Bergblicke aus. Wir sehen nur Rauch in der Ferne und vielleicht eine Berglinie am Horizont. Da die Sonne durch die vielen Rauchschichten nicht durchkommt, herrscht eine seltsame Stimmung. Das Licht ist orangig wie bei Sonnenuntergang, aber die Sonne steht weit oben am Himmel. Uns verfolgt etwas die Angst, dass es weitere Sperrungen geben könnte. Wir wandern circa 5 Meilen und zelten gegen halb 7. Bleiben etwas über 25 Meilen bis zur Grenze für den nächsten Tag. Wir sind hoch motiviert nach Kanada zu kommen. Normalerweise hat man auf diesem Abschnitt gigantische Aussichten, aber wir können leider im ganzen Rauch nur die Nachbarberge erahnen. Gegen frühen Abend ist es so weit. Miri ist total hyper aufregt und David will einfach nur ankommen. Der Endpunkt taucht plötzlich in einer unheimlich geraden Grenzlichtung auf! Was ein Anblick. Wir kennen den Terminus nur aus YouTube Videos und es ist etwas surreal jetzt endlich hier zu stehen. Wir denken an den baugleichen Startpunkt an der Mexikanischen Grenze und an alles was dazwischen lag, Wahnsinn. Der PCT ist ein so unscheinbar aussehender Trampelpfad, aber er schlängelt sich an so viel beeindruckender Natur vorbei. Irgendwie realisiert man es gar nicht, dass wir jetzt hier stehen. Der Weg ist ja bekanntlich das Ziel. So kitschig es auch klingt, aber so fühlt es sich an. Nach den obligatorischen Zielfotos am Monument gehen wir dann alle einmal in Kanada pinkeln und finden einen kleinen Campingplatz auf der amerikanischen Seite für die Nacht. 

Etwas unnötig haben sich dann die 50km zurück zum Auto angefühlt. Aber die Erleichterung ist riesengroß, dass wir es bis zur Grenze und zurück geschafft haben – ohne weitere Waldbrände. Auch gab es keine weitere Straßensperren, sodass sich der Umweg nach Seattle in Grenzen hält.

Wie geht es weiter? Der eigentliche Plan war ja gewesen Kanada zu erreichen, sich ein Auto zu mieten und bisschen Kanada zu erkunden und dann Miris Gastfamilie in Minnesota zu besuchen, aber leider kommt es ja meistens anders als geplant und man muss flexibel bleiben. Wir haben ja circa 540 Meilen (20% vom PCT) in der High Sierra wegen Schnee und allem was dazu gehört übersprungen. Für David ist schon seit einigen 100 Meilen klar, dass für ihn an der Ziellinie in Kanada Schluss ist. Er braucht noch eine kleine Auszeit von seiner Auszeit. Auch der verletzte Knöchel scheint das nochmal zu unterstreichen. Miri hat noch nicht genug und möchte die übersprungenen Meilen nachholen. Das steht schon ganz lange fest. Sie wird nicht alleine laufen, sondern mit Nolan zusammen starten in Chester und dann Richtung Süden in die Sierra reinlaufen bis zum den Punkt, wo wir die Sierra hinter Forester Pass verlassen haben. Unsere Permit ist leider nicht mehr gültig für übersprungene Teile und 9 Einzelpermits müssen auf unterschiedliche Weise beantragt werden. Aber das wird Miri nicht aufhalten. Es wird also noch etwas weiter gehen hier im Blog!

David&Miri aka Sweetheart & Starpower, Seattle, WA, August 24th

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Emilie

    Der Beitrag ist lustig geschrieben. Der Bär musste wohl richtig Angst gehabt haben. 😄

    Well done!

  2. Uschi

    Hey liebe Miri, Starpower, blei stark, halte durch.
    Freue mich auf einen neuen Bericht.
    Go on, dicken Drücker, Uschi

  3. Uschi Valbert

    Mann oh mann, was für ein Trip!!!
    Allertiefste Verbeugung für euer Durchhalten.
    Miri, pass gut auf dich auf.
    Hoffentlich bis bald.
    LG Uschi

  4. Jutta Flitsch

    ihr habt es geschafft, super Leistung,
    wir sind stolz auf euch. wir sind gespannt Miri, was du noch erlebst..
    bis bald…. . .

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