Kennedy Meadows

Meilen 558 – 704

„Desert section completed“ – die Sektion Wüste haben wir offiziell in Kennedy Meadows abgeschlossen. Wow wir sind irgendwie selbst überwältigt und froh und gleichzeitig wird der Erfolg etwas überschattet von einigen schwierigen Entscheidungen die wir jetzt treffen müssen. Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen…

Am 20.05.23 haben wir Tehachapi verlassen voll bepackt für den 7-Tage-Marsch nach Kennedy Meadows. Trail Angel Oblivious hat uns morgens wieder an den trailhead gefahren und wir müssen erstmal wieder ordentlich aufsteigen. Die karge Wüstenlandschaft mit ein paar Joshua trees wird in den höheren Lagen wieder abgelöst durch einen Kiefernwald. Das weite Land, was vor uns liegt, sieht sehr bergig und hoch aus. Wir nähern uns der berühmten Sierra Nevada und in der Ferne sehen wir eine schneebedeckte Hochebene. Und wir sehen in der Ferne dunkle Wolken, die sich zusammen brauen. Und dann hören wir das erste Donnergrummeln. Wir beeilen uns schnell zur nächsten Zeltmöglichkeit zu kommen, bevor hier ein Unwetter los geht. Doch es bleibt nur bei ein paar Tropfen Regen und einem gelegentlichen Grummeln. Glück gehabt.

Die nächsten Tage steigen wir weiter auf und nur wenig ab und jedes Mal, wenn wir um eine Bergflanke laufen, dürfen wir eine neue Berglandschaft mit herrlichen Tälern bewundern, über die sich Kiefernwälder erstrecken und oben auf den Bergspitzen ein paar schroffe Felsen herausragen. Es sieht alles so abgeschieden aus und als würden tatsächlich Bären und Pumas hier lieben. Wir haben keine gesehen, aber ein anderer Wanderer berichtete von einer Bärenspur auf dem Trail.

In diesen Tagen verbringen wir lustige Abende oder Mittagspausen mit unserer tramily. Mal zelten wir alle auf einer größeren Wiese zusammen oder man trifft sich bei der nächsten Wasserstelle am Bach und lacht über gemeinsam Erlebtes oder dies und jenes. Bei einer Mittagspause dann fängt’s an zu regnen. Wir hatten gerade fertig gegessen und wollten ein Nickerchen halten. Es bleibt nicht bei ein paar Tropfen und wir ziehen schnell unsere Regenjacken an. Das war ’ne kurze Pause und wir laufen direkt weiter. Hoffentlich ist man gleich raus aus der Wolke. Und dann donnerts auf einmal los und wir laufen im Wald durch den Platzregen. Der Donner hält sich in Grenzen (wer unsere Bosniengeschichte kennt, weiß , dass wir schon schlimmere Gewitter erlebt haben…) Aber aus Regen wird Hagel und der tut sogar ein bisschen weh. Wie entdecken einen großen Felsen im Wald, der ein bisschen Überdachung bietet und warten eine halbe Stunde das Unwetter ab, bevor wir weiter gehen an dem Tag.

Wir verlassen den Kiefernwald bis zum Abend und stellen uns auf den letzten langen Abschnitt der Wüste ein, ein Abschnitt mit nur karger Vegetation, keine Schattenmöglichkeit, sodass man in der Maisonne brutzelt, und viele Meilen ohne eine einzige natürliche Wasser Möglichkeit. Auch wieder dank an die Trail Angels, die an zwei Schlüsselstellen Kanister mit Leitungswasser für uns PCT hiker mitten in die Wüste stellen. Ohne die wäre es nicht gegangen.

Als wir 2 Tage vor Kennedy Meadows den Walker Pass überqueren (ein Highway, der in die Zivilisation führt) erzählen uns zwei entgegenkommende Tageswanderer, dass unten auf dem Campingplatz von Walker Pass richtige Trail Magic sein soll, mit richtigem Frühstück und später Mittagessen! Bei David und mir legt sich ein Schalter um und wir nehmen die Füße in die Hand und rasen den Berg runter. Zum Glück geht’s nur noch bergab! Wir hatten schon so lange keine Trail Magic mehr erlebt oder es immer wieder kurz verpasst und die Aussicht auf Leckereien und mal anderes Essen beflügelt uns zu neuen Bestzeiten.

Nach einer langen Pause bei Trail Angel Rex (er ist der Vater eines Wanderers hier und ist 3 Stunden Auto gefahren und fing schon um 6:30 morgens an Pfannkuchen für Wanderer zu machen und zum Mittag hat er hot dogs für alle gegrillt) und wohl genährt und gut gestärkt machen wir uns wieder auf den Weg für die letzten 2 Tage nach Kennedy Meadows. Wir sind jetzt wieder alleine unterwegs, weil die meisten von unserer tramily von Walker Pass einen Abstecher in die nächste Stadt gemacht haben. Wir hatten aber noch genug essen dabei und ziehen durch bis Kennedy Meadows.

Wir steigen nochmal deutlich auf nach Walker Pass und finden einen schönen Zeltplatz auf einem Bergsattel und können von hier den Sonnenuntergang genießen.

Kurz vor Kennedy Meadows laufen wir durch malerische weite Täler mit Schnee bedeckten Bergen im Hintergrund. Diese Berge wirken etwas anders als die anderen, der helle glatte Fels erinnert an die Felsformationen des berühmten Yosemite National Park. Wir können den Blick nicht satt kriegen von dem neuen Eindruck und wissen das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Sierra Nevada, angeblich der schönste (oder beliebteste) Teil des gesamten Pacific Crest Trail. Gleichzeitig wandern wir einen Gebirgsbach entlang, der aber wegen des Schmelzwasserers aus der Sierra Nevada zu einem reißenden Fluss mutiert ist. Er hat auch Teile von unserem trail überflutet und wir klettern Felsen an der Bergseite hoch um trocken zu bleiben.

Von Westen nähern sich dunkle Wolken, es fängt leicht an zu tröpfeln. Wir sind nur noch eine Meile von Kennedy Meadows entfernt. Wir sehen in der Ferne ein Auto auf einer Straße fahren. Das muss der Sherman Pass sein! Wir beeilen uns, denn wir wollen nicht nass werden. Wir erreichen die Straße und biegen rechts ab, um in den Ort zu kommen. Kennedy Meadows ist keine richtige Ortschaft. Hier stehen nur ein paar Häuser und es gibt einen General Store (kleiner Shop mit Tankstelle), wo wir unser Verpflegungspaket aus Tehachapi hingeschickt haben.

Wir staunen nicht schlecht, als wir auf das Gebäude mit der großen Veranda zu gehen und uns Applaus, Klatschen und Jubelrufe entgegen gebracht werden. Wow damit hätten wir nicht gerechnet. Auf der Veranda sitzen andere Wanderer und jeder neue Wanderer, der ankommt wird mit Applaus empfangen. Als wir dann später auf der Veranda sitzen und eine kalte Cola genießen, klatschen auch wir für jeden der nach uns ankommt. Es herrscht irgendwie eine einzigartige Gruppendynamik auf dem PCT. Wir sitzen alle im gleichen Boot und die Leute sind ähnlich drauf wie man selbst und es ist oft sehr lustig unter uns gleich gesinnten. Wanderer sind wie Freunde geworden oder einfach bekannte Gesichter, die man lieb gewonnen hat.

Neben der gemeinsamen Freude über den Meilenstein, es nach Kennedy Meadows geschafft zu haben, ist es gleichzeitig auch ein bisschen traurig, weil man sich hier von den ersten Compagnons verabschieden muss. Jeder hat einen anderen Plan für die High Sierra und viele überspringen sie dieses Jahr einfach und kommen im September zurück, wenn der Schnee geschmolzen ist. Wie schon mehrmals erwähnt, ist dieses Jahr leider kein normales Schneejahr auf dem PCT und man kann die Sierra Nevada zu diesem Zeitpunkt nicht einfach so durchwandern, wie sonst. Im Folgenden ein paar Infos zu den verschiedenen Strategien und Vor- und Nachteilen.

Die Rekordschneemassen von diesem Jahr übersteigen die des letzten Rekordschneejahres 2017 deutlich und suchen ihres Gleichen. Im Grunde genommen, wäre es ja kein Problem mit der richtigen Ausrüstung durch den Schnee zu wandern, aber ab Ende Mai hat nun die große Schmelze begonnen. Das birgt zwei größere Gefahren: Im weichen Schnee rutscht man schneller und öfter aus (gefährlicher am Steilhang + Lawinengefahr) und man kommt nur viel langsamer voran und die Gebirgsbäche schwellen zu reißenden Flüssen an. Wir hatten gehofft Anfang Juni noch früh genug da zu sein und zumindest einen Teil zu durchwandern, bevor die große Schmelze los geht. Die jüngsten Berichte, von Wanderern, die es bis nach Bishop geschafft haben, sind aber ernüchternd. Viele Schneebrücken über den Flüssen sind nicht mehr intakt oder weggeschmolzen. Ob die Flüsse noch überquerbar sind, ändert sich wöchentlich bis täglich. Man muss um 2 Uhr morgens aufstehen, um auf hartem Schnee zu wandern, ab 8 und 9 Uhr morgens ist er meistens schon zu weich um noch einigermaßen schnell voran zu kommen. Es ist also eher Nachtwandern angesagt. Wollen wir das? Damit ist es nicht genug. Man kann unter diesen Bedingungen vielleicht noch nach Bishop kommen, danach der Teil der Sierra ist aber geprägt von nicht überquerbaren Flüssen, mit zerstörten Brücken, die man weit umwandern muss. Die Sierra ist eh so weit und abgeschieden, dass die Versorgung für lange Strecken reichen muss. Jetzt kommt hinzu, dass ganze Highways und Straßen zur nächsten Ortschaft gesperrt und nicht befahrbar sind und man theoretisch für noch längere Strecken Essen tragen muss.

Viele Amerikaner und vor allem Kalifornier, die wir getroffen haben, fahren für 3 Wochen nach Hause oder zu den Eltern und warten bis der Schnee schmilzt. Auch ein paar Kanadier, die von Anfang mit uns gewandert sind, fliegen für die Zeit zurück nach Kanada. Das Problem ist, selbst, wenn man jetzt die High Sierra überspringt, wird man in Nordkalifornien immer noch Schnee antreffen. Daher 3 Wochen warten bis es schmilzt, in Nordkalifornien weiter laufen und im September für die High Sierra zurück kommen. Das machen die meisten. Denn viele Ortsansässige sagen, unter diesen Bedingungen durch die Sierra zu laufen, wird ein „pain“ (Kampf) und man „verpasst“ die Schönheit dieser Landschaft. Man ist viel nachts unterwegs und die Bergseen liegen noch komplett unter Schnee und es ist einfach momentan eine ganz andere High Sierra als sonst.

Man kann sich zwar unter diesen nassen Schneebedingungen durch einen Teil der Sierra kämpfen, aber die Erfahrung wird eine andere sein. Die Frage für uns ist also, wie entscheiden wir uns? Wir tüfteln noch an einer Strategie und melden uns beim nächsten Mal wieder…

Derweil hier mal ein paar Zahlen und Fakten, was wir bisher geschafft haben:

26,5% der Gesamtstrecke haben wir geschafft
das sind
703,4 Meilen
oder
1125 Kilometer
mit
34.800 m Höhenmeter Aufstieg
und
33.800 m Höhenmeter Abstieg

seit dem 12. April
45 Tage unterwegs, davon
6 Pausetage
39 Tage gewandert

David&Miri (aka Sweetheart & Starpower), Lone Pine, den 29.05.2023

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