Sierra - Part 2

Meilen 1334 - 794

Nach 3 Tagen Pause in Seattle geht die Reise bald weiter, wenn auch mit unterschiedlichen Destinationen. David hat schon den Rückflug von Seattle nach Frankfurt gebucht und Miri fliegt zurück nach Kalifornien. Wir Genießen die letzten 3 Tage zusammen, machen ein bisschen Sightseeing in Seattle und feiern Davids 37. Geburtstag. 

Zurück in Kalifornien sammelt Nolan, der mit seiner Schwester und Mutter einen Roadtrip von Washington hierunter nach Kalifornien gemacht hat, mich ein und wir beide wandern am 26. August am Trailhead von Chester gegen Mittag los – diesmal in Richtung Süden, um die Lücke zu schließen, die wir im Frühsommer wegen des vielen Schnees im Hochgebirge übersprungen hatten. Nolan und ich haben jedoch unterschiedliche Ziele. Mein Endpunkt oder da, wo ich damals mit David die High Sierra verlassen habe, ist Kearsarge Pass. Nolan muss noch ca. 100 Meilen weiter nach Kennedy Meadows South laufen. Aber wir sind guter Dinge und nehmen die ca. letzten 800 km (540 Meilen) in Angriff. 

Was sich jetzt schon für mich bemerkbar macht: Der bisher schwerste Rucksack aller Zeiten. Zum einen habe ich 6 Tage Proviant dabei und zum anderen muss ich jetzt alles alleine tragen, da David ja nicht mehr da ist. Das heißt: Ausrüstung, die David vorher getragen hat, trage ich jetzt zusätzlich alles alleine plus das ganze Essen. Nach den ersten Meilen mit dem gefühlt schwersten Rucksack aller Zeiten und dann noch bergauf denke ich an die Vorteile, die es hatte, zu zweit zu wandern und sich Gewicht zu teilen. Nolan lacht mich einfach nur aus. Er musste ja den gesamten Trail alles alleine tragen und jetzt seh ich mal, wie das ist, alles alleine tragen und erledigen zu müssen. Auch ist er ein wenig schadenfroh, dass ich jetzt auch meine aufblasbare Schlafmatte jeden Abend alleine aufpusten muss. Das war nämlich was, was David netterweise jeden Abend für mich gemacht hat und ihm im Übrigen auch den Namen „Sweetheart“ eingehandelt hat. Meistens hat David das Zelt aufgebaut und unsere Matten aufgepustet, während ich schon mal angefangen hab Abendessen zu kochen. Aufgabenteilung und Teamwork eben.

Die ersten Meilen in Kalifornien sind erstmal nicht so „schön“. Hier hat vor wenigen Jahren das große Dixie-Feuer gewütet und was weiß ich wie viele Hektar Wald verbrannt. Die kalifornischen Hügel und Berge hier sind einfach nur karg und meilenweise tot. Das kann einem schon mal aufs Gemüt schlagen, zumal wir vorher durchs imposante Washington und die Northern Cascades gewandert sind.

Die erste Nacht dann wieder auf dem Trail ist dementsprechend etwas gruselig im verbrannten, toten Wald. Wir finden eine etwas lichte Stelle, von der die toten Bäume (widowmaker/Witwenmacher) einigermaßen Abstand haben und noch 5 lebendige Bäume stehen. Hier können wir bleiben. Der verbrannte, tote Wald macht aber komische Geräusche. Man sagt der Wald flüstert (the trees are talking). Seltsames knacken von totem Holz, Aeste, die aneinanderreiben etc. Man ist irgendwie ein bisschen wachsamer als sonst und es ist seltsam still. Und dann mitten in der der Nacht, es ist ca. 1 Uhr morgens, kracht ein großer Ast von einem Baum in der unmittelbaren Nähe. Ich schrecke hoch und mein Puls ist auf 180. Das war laut, zwar keine Gefahr, aber trotzdem ein Schreck. 

Eine Sache, die ich jetzt, da ich alleine bin, anders machen werde als mit David: Ich werde immer „cowboy campen“ (zu deutsch biwaken), wenn es geht. Also ich werde das Zelt gar nicht mehr aufbauen, es sei denn es regnet oder die Mücken sind da. Ich werde den Rest des Trails unter freiem Himmel schlafen und in den Sternenhimmel schauen, bis mir die Augen zufallen. 

Die ersten ca. 100 Meilen laufen wir noch durch den „burn“ (verbranntes Gebiet) bis zur Quincy La Porte Road. Auch wenn die kahlen Hügel nicht so schön sind und uns die kalifornische Sonne ins Gesicht und auf den Kopf knallt, gehen wir unseren Weg und finden auch tolle Plätze, schöne Ausblicke und erleben schöne Sonnenauf- und untergänge. Wir campen mal in einem versteckten Canyon und können zur Abkühlung in den Fluss springen und treffen seit Tagen mal wieder auf ein paar andere Wanderer (Wonka, Hanson und Nasty Elija), die super nett sind und die wir die nächsten Tage immer mal wieder treffen werden. In diesen ersten Tagen vermisse ich David und wünschte, er könnte mit mir den Trail noch weiter erleben und in den Sonnenuntergang schauen und später in den Sternenhimmel und Sternschnuppen gucken. Innerlich fühle ich mich aber gut, so dankbar und zufrieden, total ausgeglichen. Wir haben es bis Kanada geschafft und sind 3350 km gelaufen. Wahnsinn. Das erfüllt mich mit so einer inneren Zufriedenheit. Und das Beste ist, der Trail ist noch nicht vorbei und ich kann jetzt noch weiterlaufen und hier draußen sein. Ich bin so happy and hab richtig Spaß und bin so gespannt auf was noch kommt. Ich sinniere darüber und denke an mein altes Leben und den Alltag früher. Ich habe nur so wenig dabei auf dem Trail und lebe so reduziert und minimalistisch. Jeden Tag habe ich die gleichen Klamotten an, sehe mich tagelang nicht mal im Spiegel, kämme meine Haare nur mit meinen Händen, kein Haus, kein Bett, keine Dusche – trotzdem fühle ich mich so wohl in meiner Haut und bin so zufrieden und glücklich. Ich liebe es einfach hier draußen. Dann habe ich aber auch wieder Momente, in denen ich mich auf Zuhause freue. Ich vermisse meine kleine Nichte Louisa und vor allem meine Mädels. Einfach meine Freundinnen und mit ihnen zu quatschen. Da freue ich mich wieder drauf. Man schwankt so hin und her zwischen „ich liebe es hier“ und „freu mich auch wieder auf Zuhause“.

Dann haben wir es auch schon fast geschafft und erreichen Sierra City, den ersten Versorgungsstopp. Und wir haben es mit einem Wetterumschwung zu tun. Der eigentliche Plan war nur ganz kurz nach Sierra City reinzuhopsen, Essen kaufen, ein bisschen „town food“ genießen und direkt wieder auf den Trail zu gehen. Für die nächsten drei bis vier Tage ist aber ziemlich viel Regen und Wind gemeldet, vor allem in der kommenden Nacht und den kommenden Tag, sodass wir dann doch dazu tendieren, eine Nacht in Sierra City in Rob’s Hiker Hostel zu bleiben und das schlechte Wetter etwas auszusitzen. Und wie sich später herausstellt, eine sehr weise und gute Entscheidung. Sierra City ist ein süßes, verschlafenes Städtchen und eine ehemalige Goldminen und -gräber Stadt. Wir haben nur eine Meile vom Highway entfernt gecampt, um an nächsten Morgen so früh und schnell wie möglich in die Stadt zu kommen bevor der Regen losgeht. Und tatsächlich, es regnet ein bisschen auf uns und wir erreichen Rob’s Hostel gerade so als es richtig los geht und stehen auf der überdachten Veranda. Glück gehabt und es wird den ganzen Tag nicht mehr aufhören zu regnen.

Viele andere PCT-hiker entscheiden sich bei der Schlechtwetterlage auch wie wir und so füllt sich das Hostel bald mit einer Menge an Leuten und ich lerne einige neue PCT-ler kennen wie Josh und Marmot aber auch alt bekannte Gesichter treffe ich hier und so ist die Freude über unerwartete Wiedersehen groß und man tauscht sich aus. Was für eine coole Stimmung hier herrscht und ich bin richtig glücklich über diesen unerwarteten Zero! Ich kann in Ruhe meinen Resupply-Einkauf machen, denn ich hab ja unerwartet viel Zeit heute, kann alles umpacken und noch viel wichtiger: Mein Zelt reparieren. Das war nämlich auch noch so eine Sache, die mir mit dem schlecht gemeldeten Wetter etwas Sorgen bereitet hat. Das Zelt hat jetzt ein halbes Jahr gut durchgehalten, aber leider machten die Reißverschlüsse nicht mehr mit und auf beiden Seiten waren die Reißverschlüsse so kaputt, dass ich die Außentüren nicht mehr schließen konnte. Man kennt das Problem vielleicht: Man zieht den Schieber zu, aber Seiten verhaken sich nicht und der Reißverschluss bleibt offen. Ziemlich ungünstige bei Regen und Wind. Vom Hersteller Dan Durston hab ich eine Anleitung bekommen, wie man das temporär reparieren kann. Und Rob vom Hostel hat zufällig die richtige Zange am Start, mit der ich das reparieren kann. Einfach perfekt und ich feiere den Tag noch mehr. Nachdem alle „chores“ („Arbeiten“) erledigt sind, wird einfach nur abgehangen, gegessen und sich unterhalten. Rob hat ein paar Instrumente da und im Hintergrund spielt immer mal jemand Gitarre während wir Spiele spielen und ich gewinne später sogar eine Partie Billiard. Insgesamt ein lustiger Abend .

Später in der Nacht, als ich schon längst in den Federn liege, bin ich mal kurz wach, weil der Regen so sehr und laut aufs Dach des über 100 Jahre alten Holzhauses prasselt und ich schaue heraus aus dem Fenster und sehe einfach die Wasser Fontainen über das Glas laufen und wie heftig es regnet und denke mir so: „Ich bin gerade so froh, über diesen ungeplanten Zero. Definitiv die richtige Entscheidung.“

Am nächsten Tag geht’s trotzdem weiter und von Sierra City laufen wir jetzt ca. 4 Tage nach South Lake Tahoe. Das Wetter bleibt dennoch instabil die nächsten 2 Tage. Alles ist nass, wir laufen durch Regen und Wind und das Zelt muss ich dann doch noch aufbauen. Wir laufen viel in Wolken und richtige Ausblicke haben wir erstmal nicht. Wegen des schlechten Wetters ist man dankbar für jeden Unterschlupf und wir haben Glück, denn auf diesem Abschnitt gibt es ein paar unbewirtschaftete Berghütten, in denen wir schlafen und ein Feuer im Ofen anzünden können. Das ist einfach Gold wert, wenn man sich ein wenig aufwärmen und trocknen kann am Feuer. Zumal ich mein von der Nacht davor triefend nasses Zelt ohnehin nicht hätte aufbauen wollen. Auch kommen wir ungefähr bei der Hälfte des Weges an der Donner Ski Ranch vorbei, wo wir kalt und nass vom schlechten Wetter überglücklich eine warme Mahlzeit einnehmen können! Und hier treffen Nolan und ich ein paar altbekannte Gesichter wieder, die wir teilweise seit Oregon schon nicht mehr gesehen haben. Jede dieser Begegnungen löst so viel Freude in einem aus und ist einfach cool.

Nun ist es nicht mehr weit bis South Lake Tahoe und die Landschaft wird immer imposanter. Wir wandern durch die Desolation Wilderness! Was für ein Filetstück an Landschaft. Wir verlassen ein wenig die bewaldeten Gebiete und wandern mehr durch imposante Felsmassive mit eisklaren Spiegelseen und Schnee in den Bergspitzen. Die Frühstückspause am Fontanilis See bot einen himmlischen Ausblick und überhaupt die gesamte Tagesetappe war eine einzige Augenweide! Ich kann mich gar nicht satt sehen und wünschte wir könnten hier campen am Aloha Lake, aber leider haben wir keinen bear can (Bärenkanister) und keine Camping-Permit für diesen Abschnitt. Wir müssen hier in einem Tag durchlaufen und auch essenstechnisch müssen wir heute Abend in South Lake Tahoe ankommen. Ich tröste mich aber mit dem Gedanken, dass ich mit David einfach nochmal hierhin zurückkommen werde.

Josh, den wir in Sierra City kennengelernt haben, und seitdem immer wieder auf dem Trail getroffen haben, hat in South Lake Tahoe eine Übernachtung bei trail angels organisiert und lädt uns ein mit ihm dort zu nächtigen. Also diese Art von Trail Magic gibt es auch: Leute, die nicht mit Essen am Trail auf hiker warten, sondern wirklich ihr Haus öffnen und einen Platz zum Schlafen anbieten. Nolan und ich überlegen nochmal kurz, weil wir eigentlich vor hatten auf dem Campingplatz in Tahoe zu bleiben, der für PCT hiker umsonst ist, aber die Trail Magic und Unterkunft bei Kathy ist auch „for free“ und sie hat auch schon gefragt, was sie denn zum Abend für uns kochen soll und ob er noch Freunde mitbringt. Das klingt so gut, dass wir uns dann bei Josh einklinken. Und was soll ich sagen, bei Kathy und John zu bleiben war einfach nur überragend. Kathy und John sind ein älteres, pensioniertes Ehepaar und nehmen jedes Jahr PCT-hiker auf, wenn sie nicht gerade mit ihren Enkelkindern beschäftigt sind. Sie waren total die lieben trail angels und haben ihr wundervolles Zuhause für uns geöffnet und uns obendrein noch grandios bekocht. So eine tolle Gastfreundschaft habe ich wirklich lange nicht mehr erlebt.  Wir hatten wirklich eine tolle Zeit hier und waren am Ende insgesamt 5 PCT-hiker, die hier gepennt haben. Zufälligerweise haben sich Alex und Polly auch noch hier einquartiert. Die Beiden sind ein Paar aus London, die David und ich schon seit der Wüste kennen und immer mal wieder getroffen haben und total witzig sind. Für den nächsten Tag ist ein Zero in Tahoe geplant, denn wir wollen in Amerikas größtem Süßwassersee schwimmen gehen und müssen ein paar Pakete in der Post abholen, sowie für die nächste Etappe einkaufen und planen. Fun Fact: Mit Lake Tahoe habe ich nun die 3 tiefsten Seen der USA besucht: Lake Tahoe in Kalifornien, Crater Lake in Oregon und Lake Chelan in Washington. Bei der Post hole ich noch meinen neuen Rucksack ab und das Wichtigste, den „bear can“, der ist für die nächsten Etappen in der High Sierra Pflicht ist. Bei der Post treffe ich dann zufällig noch 3 andere Wanderer aus Deutschland, die auch ihre Bärenkanister hier abholen. Die drei nächtigen auf dem Campingplatz in der Stadt und als ich mich erkundige, wie es da ist, sagt Kirsten nur: „Der Camping Platz des Schreckens, furchtbar!!“ Das Problem sind wohl die Schwarzbären dort, die hier in der Stadt von South Lake Tahoe gelernt haben, dass es Essen gibt, wo Menschen sind. Einem Wanderer haben die Bären das Zelt zerrissen und einem anderen den Rucksack zerfetzt – auf der Suche nach Essen. Als ich das höre, bin ich nochmals verdammt froh, dass wir bei Kathy und John untergekommen sind und nicht auf besagtem Camping Platz…

Weiter gehts von South Lake Tahoe nach Kennedy Meadows NORTH! Kathy hat uns an den Trailhead gefahren und Nolan und ich laufen die ersten Tage mit Alex und Polly weiter. Wir wandern immer höher und die Landschaft wird bergiger bzw. hochalpiner. Tatsächlich müssen wir hier und da mal wieder über ein Schneefeld laufen. Das Wetter ist wieder stabil, nur sehr windig. Aber ich kann wieder cowboy campen unter freiem Himmel. Sogar direkt an einem See. Es ist Neumond und kann mich nicht satt sehen an der Milchstraße und den leuchtenden Sternen. Kurz vor Sonora Pass haben wir es dann wieder mit einer Schlechtwetterlage zu tun. Diesmal ist aber nicht nur Regen sondern Gewitter gemeldet. Mein Garmin-Ortungsgerät, mit dem ich auch Wetter abrufen kann, sagt 100% Wahrscheinlichtkeit Regen und Gewitter heute ab 17:00 Uhr bis 19:00 Uhr. Wir werden zwar ein bisschen angeregnet, aber wir kommen zum nächsten Gebirgsbach mit Zeltmöglichkeit und es donnert ein wenig. Wir sind aber in einem geschützten Tal und von daher mache ich mir keine Sorgen. Ansonsten haben wir noch Zeit das Zelt aufzubauen und als es dann wieder regnet, verschwindet jeder in seinem/ihrem Zelt und Abendessen wird im Zelt gekocht und eingenommen. Um 19 Uhr ist es dann auch vorbei. Denke ich (dank Garmins Wettervorhersage.). Dann (es ist genau 20:18 Uhr) erhellt ein heller Blitz das gesamte Tal und direkt darauf folgt ein extrem lauter Donner. Und die nächsten 1,5 Stunden rumpst und tobt es da draußen so richtig. Die Donner sind so laut und gefühlt so nah hier oben am Berg, dass ich die Erschütterung bis ins Mark spüre, während ein Blitz den anderen jagt. Ich liege im Zelt, eingemümmelt in meinem Schlafsack, und lausche fasziniert dem Naturschauspiel. Ich hab keine Angst, denn mein Zelt steht geschützt und gut im Tal und ich warte einfach nur bis es vorüber geht und irgendwann bin ich eingeschlafen.

Am nächsten Morgen erreichen wir nach nur ca. 2 Stunden den Highway von Sonora Pass und hitchen nach Kennedy Meadows North, Miris vorletztem Resupply Stop auf dem Trail. Es kommt wohl so langsam dem Ende zu. Wir quetschen uns mit 7 Wanderern + Fahrer in einen ziemlichen kleinen Toyota Prius und fahren eine halbe Stunde lang eine ziemlich kurvige Bergstraße bergab zur Pferderanch Kennedy Meadows North, wo es einen kleinen Lebensmittelladen gibt. Einem von den Wanderern ist schlecht geworden auf dem Weg hierhin und als wir unten ankommen, springt der erstmal aus dem Auto und muss sich direkt übergeben. Hier unten bei der Pferderanch können die Leute es nicht glauben, dass wir bei dem Gewittersturm von gestern oben am Berg gezeltet haben. Der Opa von der Ranch meinte solch ein Gewitter habe er seit Jahren nicht mehr erlebt. Nolan und ich legen hier wohl aber mit Abstand den schnellsten Versorgungsstopp ein. In 50 Minuten, sind wir komplett eingekauft, umgepackt und gefrühstückt und können den 10 Uhr Shuttle nach Sonora Pass nehmen.

Wieder auf dem Trail nehmen wir vollbepackt mit Bärentonne mit 6 Tage Essen den imposanten Aufstieg hinter Sonora Pass in Angriff. Jetzt wirds nochmal richtig hochalpin. Es liegt noch Schnee in diesen Bergen und es ist sehr steinig, kaum Vegetation zu sehen. Wie am Tag zuvor ist Gewitter gemeldet, aber wir haben Glück. Die Wolken ziehen sich immer mehr zusammen und man hört das erste Donnergrollen. Aber der Trail verläuft so, dass wir die ganze Zeit rauslaufen aus den Wolken. Wir hören wie es in den Nachbartälern blitzt und donnert, aber wir laufen unter blauem Himmel praktisch in einer Wolkenschneise trockenen Fußes zwischen den lokalen Unwettern. Glück gehabt und wir bleiben auch die ganze Nacht trocken.

Nächstes Highlight nun für uns Yosemite Nationalpark. Wow, die Landschaft wird so einzigartig und die zuvor dunkelgrauen Felsen von Sonora Pass werden zu den für Yosemite typischen hellgrauen Granit. In den Tälern wachsen die großen, kalifornischen Kiefern und darum stehen die runden, abgeflachten Granitmassive und in den Tälern schlängeln sich grün-türkise, rauschende Flüsse und wir laufen an imposanten Wasserfällen vorbei oder herrlichen Seen. Was fuer eine schöne Landschaft. Die Unwetter sind jetzt vorüber und wir können wieder campen wie die Cowboys unter freiem Himmel. Wir sind jetzt die meiste Zeit zu dritt unterwegs und laufen mit Josh. An einem Abend finden wir eine tolle Stelle für unser Lager in Yosemite. Wir verlassen den Trail und hatten schon von weitem den kleinen Bergkamm gesehen, der einen guten Blick ins Tal bietet. Wir kochen unsere Mahlzeiten hier oben und essen zusammen mit Ausblick ins Tal und können bald drauf die Sterne sehen, als es dunkel wird. Und an diesem Abend sind viele Sternschnuppen unterwegs am Himmel. Es ist eine besonders klare Nacht und die Milchstraße ist direkt über uns. Es ist herrlich. Seit paar Tagen schon bin ich ein bisschen nostalgisch und traurig, dass der Trail und diese einmalige Reise bald vorüber sein werden. Ich kann mich nie satt sehen an den Sternen oder Sonnenunter- und aufgängen. Ich wünschte, es könnte ewig so weiter gehen. 

Dann in Yosemite passiert natürlich das, was passieren musste. Zum ersten Mal auf dem Trail begegnet uns ein Ranger und will unsere Permits kontrollieren. Wir haben ihn erst gar nicht als Ranger erkannt. Er ist gekleidet wie ein stinknormaler Wanderer in einem grauen Sunhoodie und Kappe. Keine traditionelle Uniform wie man sie sonst kennt. Aber er trägt eine goldene Ranger-Brosche mit US Forest Service Zeichen drauf. Er ist ungefähr in unserem Alter und ein total netter Typ. Wir erklären ihm unsere Situation, dass wir bei der letzten Ranger Station von Emigrant Wilderness angerufen haben und uns dort gesagt wurde, die Permit für die Emigrant Wilderness sei eine „Self-Issue“-Walk-Up-Permit (d.h. man kann sich die selber ausstellen, füllt einen Wisch am „Eingang“ aus und wirft den in den Briefkasten). Und die Emigrant Wilderness gelte dann gleichzeitig für Yosemite. Unser Problem war nur, als wir an Sonora Pass waren und damit am Beginn der Emigrant Wilderness, war weit und breit kein Permit-Briefkasten zu sehen. Daher sind wir dann für diesen Abschnitt ohne lokale Permit weiter gelaufen. Der Ranger ist aber total nett und drückt ein Auge zu. Er sieht, dass wir PCT-hiker sind und möchte dann trotzdem unsere PCT-Permit sehen, die zwar jetzt ungültig ist, da wir southbound (Richtung Süden) laufen, unsere PCT-permit aber für Northbound ausgestellt ist und man eigentlich mit dieser Permit nicht zur High Sierra zurück kommen darf. Er weiß, dass dieses Jahr ein schwieriges Jahr für PCT-hiker war und bittet uns nur bei der nächsten Rangerstation, an der wir zwangsläufig vorbeikommen am nächsten Highway, eine gültige Permit zu holen. Puh. Also jetzt haben wir wirklich Schwein gehabt.

In Tuolumne Meadows sind wir dann schon ganz früh bei der Yosemite Ranger Station und erhalten eine komplette Permit bis Kennedy Meadows South, also eine durchgängige Permit und wir müssen nicht mehr die nächsten 5 Einzel-Permits beantragen. Was für eine Erleichterung. Das war am 13. September. Leider auch ein schwarzer Tag für mich auf dem Trail und so einen hatte ich vorher noch nie.

Wir laufen den Mittag über durch den Lyell Fork Canyon und müssen am Ende ca. 750 m steil aufsteigen und den Donohue Pass überqueren. Nolan und Josh sind 5 bis 10 Minuten hinter mir. An einer Stelle verpasse ich dann, dass der Trail rechts abknickt und den Lyell Fork Fluss überquert. Das merke ich dann kurz darauf und checke nochmal den Weg auf meinem Handy: „Ahh da muss ich lang…“ ich gehe kurz zurück und in der Zwischenzeit hat Nolan zu mir aufgeholt und ich bedeute ihm, dass wir da rüber müssen. Es ist eine einfache Fluss-Überquerung, man kann von Stein zu Stein hopsen. Ich packe mein Handy zurück in die Hüftgurttasche und folge Nolan, der schon halb rüber ist. Als ich ungefähr in der Mitte des Flusses bin, macht es auf einmal „Platsch“ und ich denke mir „Was war das?“ und im gleichen Moment sehe ich wie ein schwarzes Handy da gerade in den Fluten schwimmt und mitgerissen wird und realisiere nur eine Milisekunde später, dass das gerade mein Handy ist. Ahhhh Panik! Das darf nicht wahr sein! Ich will direkt hinterher, hab aber auch die teure Kamera draußen am Schultergurt. Ich geh rückwärts raus, lass meinen Rucksack samt Kamera am trockenen Ufer fallen und spring in den Fluss, meinem Handy hinterher. Ohne das Ding bin ich aufgeschmissen! Das Problem ist, das Flüsschen fließt hier wie eine Art Wasserfall durch mehrere große Steine und sprudelt richtig und fließt schnell. Mir ist alles egal. Ich leg mich im Wasser auf den glibschigen Steinen mehrmals auf die Fresse, bin klitschnass und versuche den Boden und zwischen den Steinen so gut abzutasten wie es geht. Laufe den im Fluss soweit flussabwärts wie es geht. Alles mehrmals. Nolan und Josh helfen mir auch danach zu suchen. Fast eine Stunde suchen wir nach meinem Handy. Erfolglos. Es ist einfach weg. Ich stehe irgendwie wie unter Schock im strömenden Wasser und packe mir an den Kopf vor Verzweiflung und realisiere es gar nicht. So viele River Crossings habe ich schon hinter mir und habe immer darauf geachtet, dass Handy und Kamera richtig verstaut sind. Und dann in diesem Moment der Unachtsamkeit, 6 Tage bevor ich den Trail beenden werde, mache ich die Hüftgurttasche nicht zu und verliere mein Handy auf so dumme Weise. Das Handy ist mir im Grunde genommen egal. Aber die Fotos und Erinnerungen nicht. Ich hab eine Art Video-Tagebuch darin geführt. Das ist jetzt wohl alles weg. Die ganzen schönen Ausnahmen. So bitter. Aber ist gibt schlimmeres… und ich hab ja noch die Kamera!

Auch wenn in den nächsten Tagen hier und da mal ein paar Tränen über mein verlorenes Handy kullern, will ich natürlich meine letzten Tage auf dem Trail genießen. Und die Etappen, die jetzt noch vor mir liegen sind mitunter die schönsten auf dem gesamten Trail. Und jeden Tag müssen wir einen anderen Hochpass überqueren. Der Nächste, der ansteht, ist Silver Pass und wir cowboy campen direkt oben auf dem Pass auf ca. 3300 m mit Hammer Ausblick und Sonnenuntergang. Ich hoffe die Fotos sprechen für sich. Es ist aber auch gleichzeitig eisigkalt und wir haben in dieser Nacht ordentlich Kondensation und, als ich am nächsten Morgen um 5 Uhr aufwache und anfange zusammenzupacken, ist die Kondensation auf meinem Schlafsack komplett eingefroren und ich muss erstmal eine Eisschicht von meinem Schlafsack aufbrechen. Das hatte ich noch nie.

Nach Silver Pass dann mein letzter Versorgungsstopp im VVR – Vermilion Valley Resort. Eine Art Camping Platz mit dürftiger Einkaufsmöglichkeit und hervorragendem „Restaurant“. Wir gönnen uns also so richtig gutes „Stadtessen“, eine warme Dusche und Klamotten waschen. Da es hier auch heiße Quellen in der Gegend gibt und wir das Ende unserer Wanderung auch gerne etwas herauszögern wollen, entscheiden wir uns hier wieder einen Pausentag einzulegen. Josh zeigt uns ein süchtig machendes Kartenspiel und wir vertreiben uns so die Zeit. Da dieser Ort auch ein beliebter Stopp auf anderen Hochtouren hier in den Bergen ist, treffe ich hier jede Menge anderer Leute und zufälligerweise auch 5 Wanderer aus Deutschland, die auf dem John Muir Trail unterwegs sind. Der eine schreibt sogar seine Bachelorarbeit an der LMU in München über den Pacific Crest Trail und hat mich rund 20 Minuten dazu interviewt. Ich bin auf jeden Fall gespannt!

Und weiter geht’s durch die High Sierra. Ein Pass jagt den anderen und wir überqueren Muir und Mather Pass. Beide zwischen 3600 – 3700 m hoch. Mit zwischendurch ein bisschen Schnee-und Gewitter-Action wieder, aber nichts wildes. Nach allem was man so erlebt hat, kann einen irgendwie nichts mehr schocken. Die Berge sind so hoch und schroff und felsig. Und die Bergseen so blau und türkis. Und die Ausblicke so atemberaubend. Was für ein imposantes Fleckchen Erde. Ich fühl mich so Zuhause in dieser Welt. In dieser wilden Natur. Ich tröste mich die ganze Zeit damit, dass ich nochmal mit David zurückkommen muss, der muss das auch alles mal gesehen haben. Ich bin aber die meiste Zeit traurig, dass es nur noch 4 Tage zu wandern sind für mich und es werden immer weniger. Die Jungs können das irgendwie gar nicht verstehen und sagen die würden gerne mit mir tauschen und auch schon fertig sein. Ich hab aber noch nicht genug vom Wandern und wünschte es würde weiter gehen. Ich will‘s genießen, aber die Nostalgie ist stärker und ich bin zwischendurch richtig traurig und geknickt. Dabei sollte ich vielleicht mal eher den Hut vor mir ziehen. Bin ich wirklich 4200 km am Stück zu Fuß gelaufen und heile geblieben? Mein lang ersehnter Traum den Pacific Crest Trail zu laufen, die ganze Vorbereitung und Planung, jahrelang war der PCT Thema bei mir, bei uns und jetzt soll‘s endgültig vorbei sein? Abgehakt? Ich hab’s die letzten paar Tage immer wieder zu Nolan gesagt, ich verstehe jetzt warum manche Menschen den PCT jojo-en. Also das heißt, die laufen von Mexiko nach Kanada und, wenn sie Kanada erreicht haben, laufen sie wieder zurück nach Mexiko. Früher haben wir uns über die lustig gemacht, aber jetzt verstehe ich es.

Und irgendwann ist es dann soweit. Mein letzter Tag auf dem PCT und an dem muss ich sogar 2 Pässe überqueren. Pinchot Pass morgens um 7 und Glenn Pass am Nachmittag. Beide zwischen 3600 – 3700 m hoch. Es ist schon verwunderlich. Man ist zwar über 4000 km weit gelaufen und körperlich total fit, aber hier oben bei der Höhe kurz vorm Pass mit Rucksack auf dem Rücken bleibt einem trotzdem die Luft weg bei körperlicher Anstrengung. Und dann irgendwann hinter Glen Pass ist es soweit. Ich trete meine letzte Meile auf dem Trail an. Ich hab das gar nicht so genau getrackt, aber für Josh und Nolan ist das offenbar von großer Bedeutung. Die Beiden sind viel aufgeregter als ich selbst, erinnern mich minütlich daran, dass ich bald fertig bin, und bejubeln mich mit Applaus und Jubelrufe: „Miri, your last mile!! You did it!…Du hast es geschafft!!“ Ich schau nochmal in die schroffen, felsigen Berge in der Ferne auf der anderen Seite und sauge den Anblick in mir auf und da kommen mir die Tränen. Ich will echt nicht, dass das jetzt hier vorbei ist. Gleichzeitig bekomme ich eine Satelliten SMS von David auf mein Garmin, der mich auf den letzten Metern live verfolgt. Und wie im Kopfkino denke ich zurück an den Anfang und alles was dazwischen lag und all die Erinnerungen und tollen Momente und Menschen. Epic. Can I do this again?

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